Systemdesign von Netzwerk-Videoüberwachungsanlagen
Eine Kamera, die einfach mal schnell installiert wird, liefert oftmals nur Bilder
in einer unzureichenden Qualität und frisst eigentlich nur Strom. Nur mit der
richtigen Auswahl von Kameras und deren Installationsorten kann eine
Netzwerk-Videoüberwachungsanlage ihrem geplanten Einsatzzweck gerecht werden.
Autor: Jörg Rech, Axis Communication GmbH
In öffentlichen, gewerblichen wie auch in privaten Bereichen wird immer öfter eine Videoüberwachung eingesetzt. Der Kunde bzw. der Betreiber hat in diesem Zusammenhang nicht mmer genaue Vorstellungen, welche Bereiche mit Kameras erfasst werden und welche Zwecke die Videoüberwachung erfüllen soll. Wichtig ist eine fachgerechte Planung, damit im Bedarfsfall die aufgezeichneten Videos eine ausreichende Qualität aufweisen und bei der Ermittlung von Vorfällen ausreichende Informationen liefern können.
Bei der Videoüberwachung unterscheidet man zwei Einsatzzwecke für Kameras: die Identifizierung und die Übersicht. Daher sollte bei der Planung geklärt werden, wo die Kameras installiert werden müssen und welche Einsatzzwecke die Kameras erfüllen sollen. Es muss auch festgelegt werden, ob eine flächendeckende oder nur eine partielle Überwachung umgesetzt werden soll und wie viele Kameras benötigt werden. Sollen beispielsweise bei Bedarf einzelne Personen identifiziert werden, so sind die Bereiche, die im Normalfall von Personen durchquert werden, zu überwachen. Hierbei handelt es sich in der Regel um Eingangsbereiche von Gebäuden oder Einfahrten von Grundstücken. Bereiche, in denen wertvolle Gegenstände gelagert sind, werden oft mit Übersichtskameras versehen.
Planung
Grundlage der Planung eines Videoüberwachungssystems (innerhalb oder außerhalb eines Gebäudes) ist immer auf ein Gebäude-/Geländeplan in maßstäblicher Darstellung. Soll der Perimeter (Trennlinie zwischen privatem und öffentlichem Bereich) eines Unternehmens mit Kameras überwacht werden, bietet eine Geländeansicht aus Google Maps in der Satellitendarstellung eine gute Planungsgrundlage.
Eine genaue Klärung der jeweiligen Anforderungen und Ermittlung geeigneter Montagepunkte für Kameras ist jedoch ohne eine Ortsbegehung selten möglich. Für die endgültige Planung der Kamerapositionierung und deren Erfassungsbereiche nutzt man heute Planungstools. Diese ermöglichen die korrekte Platzierung der Kameras und die genaue Darstellung des Erfassungsbereichs der jeweiligen Kamera. Darüber hinaus wird angezeigt, welche Pixeldichte in Abhängigkeit des Abstandes die entsprechende Kamera liefert. Damit wird überprüft, ob eine Kamera in der Praxis ein Bild mit einer ausreichenden Pixeldichte liefert, um beispielsweise eine Person identifizieren zu können, oder ob die notwendige Pixelanzahl für eine eventuell eingesetzte Videoanalytik bereitgestellt wird.
▲ Bild 1: Planungstools stellen die Grundlagen für die richtige Kamerapositionierung und deren Erfassungsbereiche bereit.
Für die korrekte Erfassung aller wichtigen Bereiche und um die für den jeweiligen Einsatzfall notwendige Bildqualität liefern zu können, ist es notwendig, die Anforderungen an die Kameras und die Montageorte im Vorfeld zu definieren. Eine Auswahl der Kameras orientiert sich an den folgenden Kriterien:
1. Schutzziel festlegen
2. Berechnung der notwendigen Auflösung
3. Bestimmung der notwendigen Brennweite
4. Berücksichtigung der Lichtsituation
5. Sonstige Anforderungen an die Kamerabauform
Schutzziel festlegen
Zur Bestimmung einzelner Schutzziele von Kameras wird ein Objekt in verschiedene Bereiche unterteilt. Aus den jeweiligen Schutzzielen lassen sich die Anforderungen an die notwendige Pixeldichte ableiten. Vereinfacht gesagt, kommen bei der Videoüberwachung die folgenden drei Schutzziele in Betracht: Detektieren, Erkennen und Identifizieren. Letzteres wird nochmals in Abhängigkeit von der Lichtsituation differenziert betrachtet (siehe Tabelle 1).
Zum Autor:
Jörg Rech, Axis Communications GmbH
Jörg Rech ist als Manager Training Middle Europe bei Axis Communications beschäftigt und verantwortet dort den Bereich Schulung in der Sales-Region DACH und Benelux.
www.axis.com
▲ Tabelle 1: Notwenige Pixeldichten in Abhängigkeit von Schutzzielen
In vielen Projekten besteht zusätzlich die Anforderung, dass die Schutzziele und Pixeldichten normgerecht umgesetzt werden müssen. Entsprechende Richtlinien für die professionelle Planung von Videoüberwachungsanlagen liefert die DIN EN 62676-4 aus dem Jahr 2016.
Berechnung der notwendigen Auflösung
Im Consumer-Markt sind Auflösungen von 4K (Ultra-HDTV1) oder 8K (Ultra-HDTV2) keine Seltenheit mehr. Diese Auflösungen werden oftmals auch für Überwachungskameras vom Kunden gewünscht. Die Praxis hat jedoch bewiesen, dass weniger manchmal mehr bewirkt. So kann beispielsweise eine höhere Auflösung die Lichtempfindlichkeit reduzieren und führt zudem zu einem größeren Speicherbedarf sowie einer höheren Netzwerkauslastung. Der Profi versucht daher immer die benötigte Auflösung mit dem Schutzziel und der Breite der Überwachungsszene in Einklang bringen. Soll eine Kamera bei schwierigen Lichtverhältnissen Bilder zur Identifizierung liefern, ergeben sich als erforderliche Pixeldichte 500 Pixel pro Meter. Ist die zu überwachende Szene 3 m breit, ergibt sich eine erforderliche Pixelanzahl von 1.500 in der Breite. Somit wäre in diesem Beispiel eine Full-HDKamera mit 1.920 x 1.080 Pixel völlig ausreichend.
Brennweite bestimmen
Der Auswahl des für den Anwendungszweck geeigneten Objektivs muss erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Es muss sichergestellt werden, dass der zu betrachtende Bereich von der Kamera auch erfasst wird. Über die Brennweite gleicht man den Abstand zwischen der Kamera und dem zu überwachenden Bereich aus. Ist eine Kamera nah montiert, so benötigt man eine kurze Brennweite, damit die Kamera mit einem großen Bildwinkel arbeitet. Ist die Kamera in großer Distanz montiert, so wird eine lange Brennweite benötigt. In diesem Fall arbeitet die Kamera mit einem kleinen Bildwinkel und kann Details aus größerer Entfernung abbilden.
Lichtsituation berücksichtigen
Es ist zu klären, in welcher Lichtsituation eine Kamera arbeiten soll. Bei traditionellen Kameras gilt: kein Licht, kein Bild. Glücklicherweise ist die Lichtempfindlichkeit der Kameras in den letzten Jahren gestiegen, aber ganz ohne Licht kann eine Kamera noch immer keine Bilder liefern. Soll eine Kamera während der Nacht oder in dunklen Räumen arbeiten, muss der überwachte Bereich ggf. ausgeleuchtet werden. Die Ausleuchtung erfolgt heutzutage mit IR-LEDs oder mit Weißlicht-LEDs. IR-Licht hat den Vorteil, dass man es nicht sieht und eine diskrete Überwachung erhält, wohingegen Weißlicht eine abschreckende Wirkung hat, beispielsweise auf potenzielle Einbrecher. Soll eine diskrete Variante realisiert werden, müssen die eingesetzten Kameras über Tag-/Nacht-Funktionen verfügen, damit diese das IR-Licht detektieren können. Arbeitet eine Kamera im Nachtmodus mit IR-Licht, so muss man berücksichtigen, dass die Kamera nur noch Schwarz-Weiß-Bilder liefern kann. Ist die Farbinformation wichtig, können nur Kameras im Tag-Modus in Verbindung mit Weißlicht installiert werden. Geht es um kürzere Distanzen, so können Kameras mit eingebauten IR- oder Weißlicht-LEDs eingesetzt werden.
Wide Dynamic Range
Nicht nur Überwachungsbereiche mit wenig Licht stellen Herausforderungen für Kameras dar. Auch können Szenen mit einem großen Dynamikbereich, also in denen es eine große Differenz in den Helligkeitsstufen zwischen dem dunkelsten und dem hellsten Bereich der Szene gibt, in der Bilddarstellung schwierig sein. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Kamera aus dem Innenbereich in Richtung einer Glastür ausgerichtet ist. Der Bereich mit der Glastür kann tagsüber durch das Sonnenlicht im Hintergrund recht hell sein, wohingegen der Innenbereich im Vergleich dunkel ist. In diesem Fall sollten Kameras mit Wide Dynamic Range (WDR) zum Einsatz kommen. Diese liefern durch die Kombination mehrerer Bilder, die mit unterschiedlichen Belichtungszeiten erstellt wurden, eine große Dynamik.
Quellen und Links
RFCs
RFC 9114 – HTTP/3, 2022
https://datatracker.ietf.org/doc/rfc9114/
RFC 2616 – Hypertext Transfer Protocol - HTTP/1.1, 1999
https://tools.ietf.org/html/rfc2616
RFC 7230 – HTTP/1.1 Message Syntax and Routing, 2014
https://tools.ietf.org/html/rfc7230#section-6.3.2
IETF Draft : RealTime Internet Peering for Telephony, 2020
https://datatracker.ietf.org/doc/html/draft-rosenbergjennings-dispatch-ript-00
Artikel
Website Fingerprinting on Early QUIC Traffic, Pengwei Zhana,b, Liming Wanga, Yi Tang, China, Nov. 2021
https://arxiv.org/abs/2101.11871
Dissecting Performance of Production QUIC, Alexander Yu and Theophilus A. Benson, Ljubljana Slovenia, April 2021
https://cs.brown.edu/~tab/papers/QUIC_WWW21.pdf
Our Roadmap for QUIC and HTTP/3 Support in NGINX, Liam Crilly of F5, Juli 2021
https://www.nginx.com/blog/our-roadmap-quic-http-3-support-nginx/
Nearly half of malware now use TLS to conceal communications, Sean Gallagher, April 2021
https://news.sophos.com/en-us/2021/04/21/nearly-half-of-malware-now-use-tls-to-conceal-communications/
Has encryption made your current firewall irrelevant? Five TLS inspection capabilities you need in your next firewall, Sophos Whitepaper, June 2021
https://www.sophos.com/de-de/medialibrary/Gated-Assets/white-papers/sophos-encryption-firewall-wp.pdf
TLSv1.3 Decryption, Palo Alto Networks, Juli 2022
https://docs.paloaltonetworks.com/pan-os/10-0/pan-os-admin/decryption/decryption-concepts/tlsv13-ssl-decryption-support
Weiterführende Links
Why We Love QUIC and HTTP/3, März 2019
https://news.ycombinator.com/item?id=19476439
Enabling HTTP/3 support on Windows Server 2022, Tommy Jensen (tojens), August 2021
https://techcommunity.microsoft.com/t5/networking-blog/enabling-http-3-support-on-windows-server-2022/ba-p/2676880
Enabling QUIC and HTTP/3; März 2022
https://docs.litespeedtech.com/lsws/cp/cpanel/quic-http3/
Sonstige Anforderungen an Kamerabauform/-gehäuse
Sind die notwendigen Eckdaten für eine gute Bilddarstellung geklärt, müssen die Anforderungen an die Bauform und die Gehäuse der Kameras berücksichtigt werden.
Fest ausgerichtet versus steuerbar
Vom Grundsatz her gibt es zwei Kameratypen: die fest ausgerichteten und die aus der Ferne steuerbaren Kameras. Die fest ausgerichteten Kameras werden bei der Installation auf den zu erfassenden Bereich ausgerichtet und die Brennweite wird so eingestellt, dass die Kameras den gewünschten Bereich vollständig erfassen können. Bei den steuerbaren Kameras handelt es sich um sogenannte Pan-Tilt-Zoom-(PTZ) Kameras, die aus der Ferne geneigt, geschwenkt und gezoomt werden können. Mit der Hilfe der PTZ-Kameras lassen sich größere Bereiche erfassen und Details genauer betrachten.
Außenkameras
Soll eine Kamera im Außenbereich eingesetzt werden, sollte sie der Schutzklasse IP66 entsprechen, um den Witterungseinflüssen trotzen zu können. Dadurch wird sichergestellt, dass keine Nässe oder Feuchtigkeit in das Gehäuse eindringen kann. Falls Kameras im Außenbereich nicht regen- und windgeschützt installiert werden können, sollten die Kameras zudem über eine Wetterschutzabdeckung verfügen. Damit werden das Absetzen von Regentropfen im Frontbereich der Kamera und eine direkte Sonneneinstrahlung weitestgehend vermieden. Im Außenbereich können auch niedrige Temperaturen eine Rolle spielen. Gegebenenfalls sollten Kameras mit eingebauter Heizung eingesetzt werden. Bei diesen Kameras ist natürlich auch die PoE-Leistungsaufnahme höher und sehr von der jeweils aktuellen Temperatur (bzw. dem resultierenden Stromverbrauch) abhängig. Dies muss entsprechend beim Power Budget des PoE-Switches berücksichtigt werden.
Kamerabauform
Für welche Kamerabauform man sich entscheidet, ist eine weitere Frage während der Planungsphase. Es gibt unterschiedliche Bauformen von Kameras, welche bevorzugt für den Innenbereich oder Außenbereich zum Einsatz kommen (siehe Infokasten: Kameratypen). In der Regel stellen Kamerahersteller sogenannte Assistenten zur richtigen Produktauswahl zu Verfügung, mit denen sich Schritt für Schritt, anhand der eingestellten Anforderungen, die optimale Kamera aus dem Produktportfolio des Herstellers finden lässt. Neben der Auswahl der Kameras, deren Anzahl und der Festlegung der Installationsstandorte kommen noch Fragen der Netzwerkinfrastruktur und der Verwaltung von Videos zum Tragen. Hierunter fallen die Netzwerkanbindung, die Stromversorgung der Kameras, die Netzwerk- und Speicherauslastung sowie der Einsatz eines Video-Management-Systems.
Netzwerkanbindung
Bei der Anbindung an das Netzwerk bietet sich die drahtgebundene Variante per Ethernet oder die drahtlose per WLAN an. Im Privatbereich wird natürlich gerne die Anbindung per WLAN verwendet, da die benötigte Verkabelungsinfrastruktur nicht immer vorhanden ist. Dabei sollte man jedoch berücksichtigen, dass ein WLAN einfach gestört werden kann. Dies machen sich mittlerweile potenzielle Einbrecher zunutze und verwenden während der Einbrüche mobile Störsender, um eine Videoaufzeichnung per Kamera zu blockieren. Hat man einen hohen Sicherheitsanspruch, sollte man die Kameras immer per Ethernet an das Netzwerk anbinden. Zwar ist die Installation aufwendiger, jedoch erhält man dabei den Vorteil, dass man die Stromversorgung der Kameras per PoE realisieren kann.
PoE-Stromversorgung
Bei der Stromversorgung per PoE sollte man berücksichtigen, dass die Leistungsaufnahme der Kameras sehr unterschiedlich sein kann. Eine Außenkamera mit eingebauter Heizung benötigt z. B. im Winter eine bedeutend höhere Leistung als im Sommer. Deshalb ist es wichtig, dass man bei der Konfiguration des Power Management immer die Leistung berücksichtigt, welche vom Endgerät, also der Kamera, über die PoE-Leistungsklasse reserviert wurde. Wird hier die nur aktuell gezogene PoE-Leistung ausgewählt, dann besteht die Gefahr, dass ein Switch nicht genug Leistung im PoE-Gesamtbudget zurückbehält, um die Leistungsspitzen ausreichend zu bedienen.
Video-Management-System
Die Livebildbetrachtung und Aufzeichnung der Videos erfolgen bei einer Videoüberwachungslösung in einem Video-Management-System (VMS). Hier gibt es für kleinere Installationen von den Herstellern kostenlose Lösungen, über die sich deren Kameras einbinden lassen. Hat man heterogene Lösungen, so gibt es skalierbare VMS, in denen die Kameras über Gerätelizenzen hinzugefügt werden können. Die Netzwerkkameras werden über das jeweils herstellerspezifische Application Programming Interface (API) in das VMS eingebunden. Bei der Auswahl der Kameras und des VMS muss man deshalb vorab prüfen, inwieweit eine Netzwerkkamera vom VMS unterstützt wird. Abhilfe hierbei kann Open Network Interface Forum (ONVIF) liefern. Bei ONVIF handelt es sich um einen globalen offenen Standard für die Netzwerkschnittstelle von Netzwerk-Videoprodukten. Darüber ist die Interoperabilität zwischen den Komponenten einer IP-basierten Videoüberwachungsanlage sichergestellt, falls diese von unterschiedlichen Herstellern stammen.
Bitraten- und Speicheranforderung
Die Performance-Anforderungen an das Netzwerk und die Größe des Speichers müssen ebenfalls bei der Planung berücksichtigt werden. Diesem Thema haben wir uns bereits in der letzten Ausgabe des VAF Reports gewidmet (siehe Artikel »Codecs und Bitraten«, VAF Report 2/2022).
Fazit
Eine fachgerechte Planung einer IP-basierten Videoüberwachungsanlage stellt sicher, dass aufgezeichnete Videos im Bedarfsfall eine Hilfe bei der Ermittlung von Sachverhalten bieten. Des Weiteren kann eine Planung sicherstellen, dass auch alle wichtigen Bereiche eines Objektes mit Kameras erfasst werden.
Veröffentlicht am: 20.04.2023